Suffizienz
Um die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen, sind nicht nur eine Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz und die Nutzung umweltverträglicher Technologien nötig, sondern auch eine Änderung des Verhaltens in Richtung Suffizienz.
Was ist mit Suffizienz gemeint?
Umgangssprachlich kann Suffizienz mit «Einfach besser leben» umschrieben werden. Das Konzept zielt auf einen geringeren Ressourcenverbrauch durch eine Reduktion der Nachfrage nach ressourcenintensiven Gütern und Dienstleistungen ab. Das Konsumverhalten soll hinterfragt und der damit verbundene Ressourcenverbrauch auf ein umweltverträgliches Mass reduziert werden. Gleichzeitig sollen nicht-materielle Güter und Dienstleistungen aufgewertet werden. Dies soll zu veränderten Lebensstilen und Konsumgewohnheiten mit deutlich geringerem Ressourcenverbrauch und mindestens gleich hoher Lebensqualität führen.
Fehlende Grundlagen
Zur Erreichung der Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft erarbeitete die Stadt Zürich verschiedene praxisorientierte Grundlagen zum Thema Suffizienz und setzte erste Massnahmen um – zum Beispiel in Form von Belegungsvorschriften für Wohnungen oder mit der Nutzung von Car-Sharing statt eigenen Dienstfahrzeugen. Da jedoch noch wenig Wissen zur Verstärkung der Stossrichtung Suffizienz vorlag, erarbeitete Energieforschung Stadt Zürich wissenschaftliche Grundlagen zu zwei Schwerpunkten.
Fokus Energieforschung Stadt Zürich
- Ein erstes Projekt untersuchte, in welchem Mass die Bevölkerung bereit ist, auf den Konsum von Produkten und Dienstleistungen zu verzichten, ohne das Wohlbefinden zu verringern. Das Projekt analysierte, inwiefern dieses «subjektiv genügende Mass» bei verschiedenen Verhaltensweisen vom aktuellen Verhalten abweicht und welche Potenziale sich daraus für die Stadtzürcher Bevölkerung zur Reduktion des Konsums ergeben. Das «subjektiv genügende Mass» wird definiert als «individuelle Einstellung darüber, welche Mindestausprägung bei umweltrelevanten Verhaltensweisen für die Erhaltung des aktuellen subjektiven Wohlbefindens genügt».
- Ein zweites Projekt untersuchte freiwillige Angebote und Initiativen mit Bezug zu suffizientem Verhalten in der Stadt Zürich und vergleichbaren Städten. Das Projekt analysierte die Art und Ausgestaltung der Angebote und Initiativen, deren Wirkungspotenziale, für die Verbreitung förderliche Faktoren und die Unterstützungsmöglichkeiten durch Dritte, insbesondere die öffentliche Hand.
Haupterkenntnisse Suffizienz
Erkenntnisse zum «subjektiv genügenden Mass»
Bei der Stadtzürcher Bevölkerung besteht in vielen Verhaltensbereichen ein beträchtliches Potenzial zur Reduktion des Konsums, ohne dass das subjektive Wohlbefinden verringert würde (Das subjektiv genügende Mass FP-1.7). Die im Projekt über das «subjektiv genügende Mass» durchgeführte Befragung zeigt folgende Resultate:
- Individuen sind für sich in der Lage, eine, zumindest momentan gültige, Mindestausprägung des subjektiv genügenden Masses für einzelne Verhaltensweisen zu definieren. Daraus folgt, dass die Frage «Wie viel ist genug?» auf individueller, gesellschaftlicher und politischer Ebene aktiv thematisiert und reflektiert werden kann.
- Das subjektiv genügende Mass der antwortenden Stadtzürcher/innen liegt bei verschiedenen Verhaltensweisen im Durchschnitt zwischen 10% und 70% unter dem Niveau des aktuellen Verhaltens (vgl. nachfolgende Tabelle).
Bereitschaft der Bevölkerung für Konsumanpassungen (Das subjektiv genügende Mass, FP-1.7).
Tabelle vergrössernWohnfläche, Flugreisen und Fleischmenüs
Beispielsweise würden Stadtzürcher/innen 33 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf, gut drei Flugreisen alle drei Jahre und zwei Menüs mit Fleisch oder Fisch pro Woche genügen. Tatsächlich aber nutzen sie 47.5 Quadratmeter Wohnfläche, fliegen fast sechs Mal in drei Jahren und essen vier bis fünf Mal pro Woche Fleisch oder Fisch (vgl. folgende Abbildung).
Beispiele von durchschnittlichen individuellen Abweichungen des tatsächlichen Verhaltens vom «genügenden Mass» (Das subjektiv genügende Mass, FP-1.7).
Abbildung vergrössernSoziodemographische Merkmale beeinflussen das subjektiv genügende Mass
Die Befragung zeigt zudem, dass das Einkommen und soziodemografische Merkmale die Ausprägung des subjektiv genügenden Masses beeinflussen. Beispielsweise weisen Personen mit höherem Einkommen und höherem Bildungsabschluss bei einigen Verhaltensweisen wie zum Beispiel bei der Wohnfläche und der Anzahl Flüge ein höheres subjektiv genügendes Mass auf als Personen tieferer Einkommens- und Bildungsstufen.
Erkenntnisse zu den freiwilligen Angeboten und Initiativen mit Bezug zu suffizientem Verhalten
In der Stadt Zürich existiert bereits eine Vielzahl von freiwilligen Angeboten und Initiativen mit Bezug zu suffizientem Verhalten. Etwa in den Bereichen Mobilität, Ernährung, solidarische Landwirtschaft und Alltagsgegenstände (vgl. folgende Abbildung).
Handlungs- und Diffusionspotenzial verschiedener freiwilliger Angebote und Initiativen (Freiwillige Angebote und Initiativen mit Bezug zur Suffizienz FP-1.18).
Abbildung vergrössernWirkung von freiwilligen Angeboten und Initiativen
Die freiwilligen Angebote und Initiativen können zur Veränderung der Konsumgewohnheiten und der Lebensstile der Bevölkerung in Richtung Suffizienz beitragen:
- Die Angebote und Initiativen bieten Handlungsalternativen, die mit einem geringeren Ressourcenverbrauch einhergehen. Werden sie in Anspruch genommen und dadurch ressourcenintensive Verhaltensweisen ersetzt, können Energie und Ressourcen eingespart werden. Eine grosse Vielfalt an Angeboten und Initiativen vergrössert die Chancen, dass sich viele Personen angesprochen fühlen und damit die Wirkung grösser wird.
- Die Wirksamkeit freiwilliger Angebote und Initiativen kann durch deren weitere Verbreitung erhöht werden. Dafür sind ein persönlicher Nutzen, eine einfache Zugänglichkeit und der soziale Austausch wichtig.
Unterstützung für freiwillige Angebote und Initiativen
Für das erfolgreiche Entstehen, Bestehen und Verbreiten von freiwilligen Angeboten und Initiativen spielen unterstützende Dritte, vor allem die öffentliche Hand, eine zentrale Rolle. Sehr wichtig ist zum einen die Förderung von Netzwerken, Plattformen und Dachverbänden. Denn diese bieten umfassende und niederschwellige Informations-, Beratungs-, Vernetzungs- und Austauschangebote und ermöglichen so gegenseitige Unterstützung und Lernprozesse. Zum anderen können auch bestehende Initiativen gestärkt und die Lancierung neuer Angebote gefördert werden. Wichtige Ansatzpunkte sind:
- die bedarfsgerechte Unterstützung bei fehlenden Kompetenzen und Ressourcen im Hinblick auf eine Professionalisierung der Angebote und Initiativen,
- die Ermöglichung des Zugangs zu Infrastruktur (z.B. Räumlichkeiten) und die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen,
- die politische Unterstützung, beispielsweise durch öffentliche Stellungnahme der Behörden zur gesellschaftlichen Relevanz der Initiativen, und die Unterstützung in der Kommunikation.
Empfehlungen: Suffizienz
Aus den Erkenntnissen zu den beiden Projekten zur Suffizienz lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:
Von Städten oder NGOs ausgelöste Reflexionsprozesse stossen Veränderungen an.
Anhand von Ergebnissen zum subjektiv genügenden Mass kann ein Reflexions- und Diskussionsprozess auf individueller und gesellschaftlicher Ebene angestossen werden. Städte und weitere Akteure wie zum Beispiel NGO sollten in der Kommunikation sowie an Veranstaltungen das subjektive Mass, Abweichungen zum effektiven Verhalten und Verhaltensänderungen thematisieren. Damit könnte auf freiwilliger Ebene ein Veränderungsprozess in der Bevölkerung angestossen und unterstützt werden.
Es braucht eine politische Legitimation als Grundlage für eine Suffizienzpolitik.
Städte sollten die Ergebnisse zu den Abweichungen zwischen dem aktuellen Verhalten und dem subjektiv genügenden Mass dazu nutzen, die politischen Rahmenbedingungen in Richtung eines suffizienteren Verhaltens weiterzuentwickeln. So könnten anhand der Ergebnisse die politischen Ziele (z.B. Mobilitätsziele) und Vorschriften (z.B. Belegungsvorschriften bei Wohnungen) weiterentwickelt, Kampagnen geplant (z.B. Reduktion des Fleischkonsums und/oder der Flugreisen) oder der Bau und Betrieb von Gebäuden gesteuert werden (z.B. Regelung der Standardeinstellung von Heizungen).
Suffizienz-Initiativen können ihre Wirkung über verschiedene Strategien multiplizieren.
Trägerschaften von freiwilligen Angeboten und Initiativen sollten grossen Wert auf eine einfache Zugänglichkeit, den Nutzen für die Zielgruppen und den sozialen Austausch legen. Zudem sollten sie sich vernetzen und austauschen, um voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Initianten von Angeboten sollten auf eine Vielfalt von Angeboten in Bereichen mit grossem Potenzial zur Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs achten. Dies erhöht die Chancen, dass sich viele Personen angesprochen fühlen, mitmachen und entsprechende Wirkungen erzielt werden.
Freiwillige Angebote und Initiativen stärker unterstützen.
Die Unterstützung würde massgeblich dazu beitragen, deren Wirkungen zu erhöhen. Zum einen sollte die Vernetzung und der Austausch gefördert werden – zum Beispiel durch die Stärkung entsprechender Netzwerke, Plattformen und Dachorganisationen. Zum anderen könnten bestehende Angebote und neue Initiativen gezielt gefördert werden – insbesondere in den Bereichen Ressourcen und Kompetenzen, Infrastruktur und rechtliche Rahmenbedingungen sowie Kommunikation. Die Städte sollten eine politische Legitimation schaffen, um Aktivitäten im Bereich Suffizienz stärker unterstützen zu können.