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Ausblick

Ein Gespräch zum Abschluss des Forschungsprogramms und ein Ausblick.

«Wir haben viel gelernt, jetzt müssen wir es umsetzen»

Das Programm «Energieforschung Stadt Zürich» ist ein wichtiger Schritt in Richtung «Netto-Null». Auch wenn nicht alle offenen Fragen restlos geklärt seien, so ist sich die Gesprächsrunde einig, wisse man jetzt genug, um die Umsetzung der Resultate in die Praxis anzupacken.

Der Wissenschaftsjournalist Beat Glogger im Gespräch mit:

  • Dr. Silvia Banfi Frost: Energiebeauftragte Stadt Zürich. Sie gehörte der EFZ-Koordinationsgruppe an, welche die städtischen Stellen und das ewz koordinierte und die Geschäfte des Steuerungsausschusses vorbereitet hat. Sie unterstützte mit ihrer Expertise die Begleitgruppe Gebäude.
  • Rahel Gessler: Co-Leiterin Geschäfts­bereich Energie im Umwelt- und Gesundheitsschutz, Stadt Zürich. Sie gehörte ebenfalls der EFZ-Koordinationsgruppe an. Sie unterstützte mit ihrer Expertise die Begleitgruppe Haushalte.
  • Dr. Annette Kern-Ulmer: Leiterin Business Development, Geschäfts­bereich Energielösungen, ewz. Sie unterstützte mit ihrer Expertise die Begleitgruppe Gebäude.
  • Marcel Wickart: Fachspezialist Business Development im Bereich Energielösungen, ewz. Er unterstützte mit seiner Expertise bis 2017 die Begleitgruppen Gebäude und Haushalte.

Fotos: Helen Ree

Auf die Frage, was sie an den Resultaten von Energieforschung Stadt Zürich am meisten beeindruckt habe, ist sich die Gesprächsrunde einig: die Grundlagen­berichte. Berichte also, die Daten lieferten, welche für den weiteren Weg in Richtung «Netto-Null» wichtig sind. Zum Beispiel im Gebäudebereich. «Wir wissen jetzt, dass die 500 wichtigsten Haus­eigen­tümer­schaften in der Stadt Zürich rund 80 Prozent der Energie­bezugs­fläche besitzen», sagt Silvia Banfi Frost. «Und wir wissen: Woher kommen die Treibhaus­gas­emis­sionen der Stadt Zürich? Welches Alter haben die Gebäude? Wie ist der Gebäudepark zusammengesetzt? Wer sind die Eigentümer­schaften? Welches ist der Zusammenhang zwischen Eigentümerschaft, Alter der Wohnung und Erneuerungsverhalten?» Solche Informationen sind wichtig, um weitere Massnahmen zur Erreichung von netto null CO2-Emission zu entwickeln.

Das Forschungsprogramm förderte aber auch Erkenntnisse zutage, die «geradezu aufrütteln», wie Annette Kern-Ulmer es ausdrückt. Zum Beispiel sei man sich nicht bewusst gewesen, dass in der Stadt Zürich beim Ersatz eines defekten oder in die Jahre gekommenen Heizsystems in 80 bis 90 Prozent der Fälle einfach wieder das Altbewährte eingebaut wird. Also: Ölheizung raus, Ölheizung rein. Anstatt dass die Hauseigentümerschaften den Moment nutzen, um auf einen CO2-neutralen Energieträger umzusteigen. «Wenn es darum geht, die Gesamtheit der Gebäudeeigentümer in Richtung Energiewende zu bewegen, versagt der Markt», analysiert Kern-Ulmer. Denn für die meisten Hauseigentümerschaften sind Entscheidungen wie ein Heizungsersatz nicht alltäglich, weshalb sie mehrheitlich zum Altbekannten tendieren. «Diese Erkenntnis kann uns aber auch vorwärtsbringen», sagt Kern-Ulmer. Sie könnte beispielsweise ein Zeichen aus Zürich an die nationale Gesetzgebung sein – insofern, dass regulatorische Anreize die gewünschten Lösungen attraktiver machen sollten.

Sehr gefreut hat Rahel Gessler, dass das Forschungs­pro­gramm auch Gelegenheit bot, um Unkonventio­nelles auszuprobieren. Sie nennt den Wettbewerb, in dem Kantinen sich darin massen, wer den CO2-Ausstoss am meisten senken kann. Resultat: Nur schon die Anordnung der Speisen am Selbst­bedienungsbüffet beeinflusst, ob sich Kundinnen und Kunden klimabelastendes Fleisch oder eher Vegetarisches schöpfen. «Das zeigt, dass überraschende Ansätze auch zum Erfolg führen können», sagt Gessler. Doch bedauert sie, dass der Versuch nicht hatte weitergeführt werden können. «Das wäre eben nicht mehr Forschung gewesen, sondern mehr Anwendung», sagt sie.

Portrait of Dr. Silvia Banfi Frost
«Man kann innerhalb des gesetzlichen Rahmens den Spielraum für kreative Lösungen nutzen.»
Dr. Silvia Banfi Frost

Man habe generell viel über die Kundinnen und Kunden gelernt, sagt Silvia Banfi Frost. Zum Beispiel, dass ’Wollen’, ‘Können’ und ‘Tun’ gleicher­massen wichtig seien. Und dass man sich in der Vergangenheit vielleicht zu sehr auf das ‘Können’ konzentriert habe. Also auf den Einsatz von Technik und Instrumenten, die der Kundschaft ein energieeffizienteres Verhalten ermöglichen. Doch vor dem ‘Können’ komme eben das ‘Wollen’: Sind die Leute über­haupt bereit, ihr Energieverhalten zu verändern? «Das ist eine emotionale Frage», sagt Silvia Banfi Frost. Aber um diese emotionale Frage zu beantworten, sei solide Information die Grundlage. «Zuerst müssten die Leute wissen, worum es geht und was möglich ist.» So seien sich zum Beispiel nur die Wenigsten bewusst, wie ihr Strommix zusammen­gesetzt sei (in Zürich ist für Kleinbezüger das Standardprodukt 100 Prozent erneuerbar). «Dass die Leute zu wenig informiert sind, finde ich nicht mal so schlimm, sagt Banfi, «aber richtiggehend schockiert hat mich, wie viele an falschen Informationen festhalten.» Man könnte auch sagen, wie viele Vorurteile herumgeisterten. Oft höre man: «Es geht nicht.» So meinten zum Beispiel viele Hauseigen­tümer­schaften, ihr Gebäude sei nicht geeignet für eine erneuerbare Lösung. «Wer davon überzeugt sei, kläre nicht seriös weiter ab», sagt Annette Kern-Ulmer. Dabei wäre Information zur Genüge vorhanden, bloss sei sie zu fragmentiert. Jeder Kanton, jede Stadt habe andere Vorschriften, andere Förder­programme. Zum Beispiel die Umsetzung der Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn). «Das ist alles extrem unübersichtlich», sagt sie. Für Marcel Wickart liegt bei der Information noch ein weiteres Problem: «Wir predigen zu oft zu den ‘Bekehrten’», ist er überzeugt, «zu denen, die es schon wissen.»

Divergierende Interessen

Gezeigt hat das Forschungsprogramm auch, wie heterogen die Hauseigentümer­schaften sind. Das habe überrascht. Selbst in Gruppen wie jene der Stockwerk­eigen­tümerschaften oder Einfamilien­haus­besitzenden gehen die Interessen stark auseinander. Für die einen stehe bei einer Gebäudesanierung das Energiesparen im Vordergrund, für andere die ästhetik der Gebäudehülle. Und die dritten seien ausschliesslich ökonomisch motiviert. Deswegen seien wohl die Cluster-Projekte – die insgesamt eher enttäuschend geendet haben – nur dort erfolgreich gewesen, wo eine gewisse Homogenität und Professionalität der Teilnehmenden gegeben war. Aber auch grosse Kunden brauchen zunehmend Beratung, weil das regulatorische Umfeld komplex und dynamisch ist. Hier setzt das ewz verstärkt auf technologische Hilfsmittel: Data-Science, Data-Analytics, GIS-Informationen, Open Data. Dies kann die Entscheidungsfindung der Kundschaft auf Basis konkreter Informationen zur Liegenschaft und den örtlichen Gegebenheiten erleichtern.

Portrait of Dr. Annette Kern-Ulmer
«Am meisten zu tun gibt es noch bei der Gebäudeerneuerung. Hier ist die Komplexität enorm hoch.»
Dr. Annette Kern-Ulmer

Aber selbst wenn das Wissen über Nachhaltigkeit und Energieeffizienz vorhanden sei, stehe bei einem Gebäude letztlich häufig die ökonomische Betrachtung im Zentrum. Wenn Renovations­willige nur die Investitionskosten beispielsweise für eine Erdsonde mit jenen für eine fossil betriebene Heizung vergleichen – da stehen 50 000 bis 70 000 Franken gegen 15 000 – ist für viele die Rechnung schnell gemacht, wie Silvia Banfi sagt. Dabei würden aber die jährlich anfallenden Betriebskosen ausgeblendet.

Bei der Information von Kundinnen und Kunden ist man auf ein weiteres, eher unterschätztes Hindernis gestossen: den Datenschutz. Für mehrere Forschungs­projekte wurden grosse Zahlen von Haushalten angeschrieben. Nur schon die Beschaffung der Adressen war «Knochenarbeit», wie Silvia Banfi Frost sich erinnert. Aber richtiggehend Widerstand hat man mit einem von Marcel Wickarts Lieblingsprojekten provoziert. Mittels eines Anschreibens an 10 000 Haushalte wollte das ewz ihre Kundschaft auf die Informations-Plattform «Smartsteps» bringen. «Um zu testen, wie man Leute motiviert, haben wir vier verschiedene Schreiben verfasst.» Einigen Adressaten wurde einfach ihr Energie­verbrauch genannt, so wie sie ihn auf der Stromrechnung sehen. Anderen wurde vorgerechnet, wie viel Geld sie sparen könnten, wenn sie ihren Energieverbrauch um 10 Prozent senken. Bei wieder anderen enthielt der Brief einen Vergleich mit dem Stromverbrauch der Nachbarn. Dass Vergleiche eine sehr wirksame Art der Motivation sind, weiss man aus Forschungen – in der Fachsprache Peer-to-Peer-Motivation genannt. «Doch die Aktion kam nicht gut an», erinnert sich Wickart vom ewz. «Verbände und Politiker haben zum Teil heftig reagiert.» Es hiess, der Energieversorger dürfe die Kundschaft nicht derart beeinflussen. Dies zeigt auch die Grenzen eines Forschungsprojektes auf.

Man will sich nicht um Technik kümmern

Aufschlussreich war auch der Einblick in die Psyche der Kundinnen und Kunden in Bezug auf die technischen Installationen. So faszinierend für Fachleute und potenziell wirksam für die Reduktion des Energieverbrauchs intelligente Haustechnik ist: «Smart Home» überfordert viele Leute. Dies zeigte die Studie «Benutzer­gerechte Assistenz- und Motivations­systeme». «Man möchte zwar gern ökologisch sein», sagt Annette Kern-Ulmer. «Aber man möchte sich nicht jeden Tag damit befassen müssen.»

Portrait of Marcel Wickart
«Um warm zu bekommen, musste man früher in den Kohlenkeller. Heute ist einfach der Schalter auf ‘Ein’.»
Marcel Wickart

Technik allein wird es also nicht richten. Womit wieder die weichen Faktoren ins Spiel kommen, aufgrund derer Menschen Entscheidungen fällen. Aber da ist es für Energieversorger und Behörden schwierig zu erkennen, dass jemand gerade daran ist, eine Entscheidung zu fällen, die seinen künftigen Energie­verbrauch prägen wird. Beispielsweise spielt es eine grosse Rolle, wo Personen, die in die Stadt ziehen, Wohnsitz nehmen, wie sie ihre Mobilität planen oder wie sie zum Beispiel ihr neues Zuhause reno­vieren. Aber die Behörden lernen die Zuziehenden erst kennen, wenn diese Entschei­dungen bereits getroffen sind. Also zu spät, um noch Einfluss in Richtung Energie­effizienz nehmen zu können. Es gilt, den richtigen Moment zu finden. Und auch die richtigen Ansprechpartner. Darum müsse man sich nicht nur an die Endverbraucher wenden, sondern an diejenigen, die beraten, planen und installieren. Denn diese sind mit den Kundinnen und Kunden im Kontakt, lange bevor ewz oder Stadt wissen, dass jemand energierelevante Entscheidungen fälle. Zwar wäre es verlockend, sich auf die relativ wenigen institutionellen Eigentümerschaften zu konzentrieren, die den weitaus grössten Teil der Energie­ver­brauchs­fläche in der Stadt Zürich besitzen: Pensionskassen, Genossenschaften, Investoren. Denn hier wäre die Hebelwirkung am grössten, könnte man gemessen am Auf­wand am meisten Energie einsparen. Doch niemand in der Runde will die Eigentümerschaften kleiner Liegenschaften und einzelner Einfamilienhäuser einfach links liegen lassen. Wäre es aber nicht ver­lockend, energierelevante Bereiche einfach streng zu reglementieren und den Leuten gar keine Wahl zu lassen? Zum Beispiel eine Anschlusspflicht an thermische Netze zu verfügen? «Verlockend wäre das gelegentlich schon«, gibt Silvia Banfi zu: «Wir möchten aber niemanden zu einem bestimmten Verhalten zwingen. Vielmehr versuchen wir, die Angebote so attraktiv zu gestalten, dass die Leute freiwillig wechseln.»

Das wäre dann also wieder das ‘Tun’, das man bei den Kundinnen und Kunden auslösen möchte. Es ist genauso wichtig wie die Information, mit der man das ‘Wollen’ fördert, und die Technik, die das ‘Können’ ermöglicht. Neben attraktiven Angeboten nennt Rahel Gessler noch eine weitere Möglichkeit, dieses ‘Tun’ zu steuern. Denn es reicht nicht, den Leuten einfach einmal einen Anreiz zu setzen. Man muss sie immer wieder mal in Richtung eines gewünschten Verhaltens schubsen – in der Fachsprache ‘Nudging’ genannt. Mehrere Studien im Rahmen von Energieforschung Stadt Zürich haben gezeigt, dass die Menschen zwar gerne etwas Neues ausprobieren, dann aber recht bald wieder in ihr altes Verhaltensmuster zurückfallen – oder in die Bequemlichkeit. Sei das bei der Ernährung oder beim Gebrauch von Smart-Home-Installationen. Manchmal reicht auch ein ganz kleiner Schubser: zum Beispiel die rote Farbe zur Markierung von Velorouten. «Das funktioniert recht gut», sagt Gessler. «Aber natürlich lösen wir mit ‘Nudging’ auch nicht den Quantensprung aus.» Eine gute Motivation ist, wie schon erwähnt, der Nachbarschaftsvergleich, der aber – wenn nicht freiwillig gesucht – oft unerwünscht ist. Besser funktioniert das Vergleichen beim Zusam­men­­treffen mit Gleichgesinnten beispielweise an einem Open-Day im Quartier, in Beratungs­­angeboten oder Workshops.

Die Menschen an der Hand nehmen

Einig ist sich die Gesprächsrunde, dass es kompliziert sein könne, alte Gewohnheiten zu ändern und sein Leben auf energieeffiziente, nachhaltige und vielleicht sogar suffiziente Weise zu gestalten. Nicht nur auf dem eigenen Weg vom ‘Wollen’ über das ‘Können’ zum ‘Tun’, sondern auch weil man bei der Umsetzung sogar innerhalb der Stadtverwaltung mit verschiedensten Stellen zu tun hat, die mit ihren verschiedenen Leistungsaufträgen nicht alle auf den Aspekt Energie fokussiert seien: Je nachdem stehen Datenschutz, Denkmal­schutz, Brandschutz oder anderes im Vordergrund. Diese unterschiedlichen Prioritäten können einander gelegentlich zuwiderlaufen. Annette Kern-Ulmer spricht von «regulatorischer Komplexität». Sie will dies alles aber nicht nur als Hindernis sehen, sondern auch als attraktive Herausforderungen. «Wie schaffen wir es, die Leute an der Hand zu nehmen und ihnen den Weg durch diesen Dschungel zu zeigen?» Hier sei das ewz in einer tollen Position. Denn: «Es ist möglich, im gesetzlichen Rahmen, den Spielraum für kreative Lösungen zu nutzen», sagt Silvia Banfi Frost. Nur dürfe das natürlich nicht zu einer Ungleich­be­hand­lung von Antragstellenden führen.

Portrait of Rahel Gessler
«Wir kennen die Hemmnisse, wir haben die technischen Lösungen, wir können auch ziemlich gut monitoren.»
Rahel Gessler

Jetzt muss die konkrete Umsetzung folgen

Ein nicht zu unterschätzender Nutzen des Programms sehen die vier Gesprächs­teilnehmer auch in den Netzwerken, die sich über diese 10 Jahre Forschung etabliert haben. Die Zusammenarbeit zwischen Energiefachleuten in Verwaltung, Energieversorgung und Forschung.

«Natürlich hat das Forschungsprogramm nicht alle Fragen beantwortet», sagt Silvia Banfi Frost. Insbesondere sieht sie noch Wissenslücken beim Thema Suffizienz und bei den sozio­öko­no­mischen Auswirkungen auf dem Weg zur Netto-Null-Gesellschaft. Und Rahel Gessler urteilt: «Auch wenn noch nicht alle Fragen geklärt sind, wir haben gelernt, dass die Stadt Zürich gut unterwegs ist, dass wir aber noch besser werden können.» Wenn Gessler noch einmal so viel Geld zur Verfügung hätte, würde sie dieses nicht mehr in Forschung investieren, sondern in die konkrete Umsetzung – und in weitere zielgerichtete Kommunikation. Dazu brauche es Leuchtturmprojekte, sagt Annette Kern-Ulmer. Beispielsweise wolle die Stadt anhand eines Quartiers zeigen, wie die Zukunft aussehen kann. «Das ist ein Projekt, mit dem Zürich der Schweiz signalisieren kann, dass wir nicht nur wichtige Forschung betreiben, sondern auch wichtige Schritte machten in Richtung Netto-Null».